Nach und nach bekommen alle kantonalen Präsidien unserer Verbände freie Hand, um einfach einmal das zu schreiben, was sie gerade umtreibt. Den Anfang macht Elie Jolliet, der neue Präsident des altehrwürdigen Bernischen Organistenverbandes (gegründet 1901) sowie Mitglied unserer Redaktionskommission.
Auseinandersetzungen um eine vermeintlich richtige, würdige und nicht zuletzt zeitgemässe Musik im Gottesdienst gibt es seit jeher. Welche Bedeutung der Kirchenmusik zugemessen wird, lässt sich aus der Leidenschaft und Schärfe, mit welcher erbittert diskutiert wird, unschwer erkennen.
Worum gehts eigentlich?
Die Diskussion scheint sich in jüngster Zeit festgefahren zu haben: Auf der einen Seite werden im Namen der «Tradition» die Orgel und jahrhundertalte Lieder verteidigt, auf der anderen Seite werden Schreie nach modernen Ausdrucksformen laut. Debattiert wird oft – zumindest vordergründig – über Fragen des Musikstils; über textliche und vor allem über theologische Fragen wird selten gestritten. Immerhin wird seit einigen Jahren vermehrt über inklusive Sprache diskutiert – in meinem Umfeld insbesondere, was Genderfragen angeht. Dennoch: Ich habe noch nie Pfarrpersonen, Chorsänger:innen oder Gemeindemitglieder erlebt, die den Wunsch nach mehr oder weniger frommen Liedern geäussert haben.
Mir scheint, als würden dabei grundsätzliche Fragen um Musik im Gottesdienst und in der Gemeinde mitunter vergessen gehen: Welchem Zweck dient sie? Welche Bedeutung wollen wir ihr zuordnen? Welche theologischen Inhalte soll sie vermitteln? Welche Bedingungen stellt eine inklusive Musikpraxis?
Wer, wie, was?
Glücklicherweise sind die Zeiten vorbei, als Musik bloss als akustische Tapete zur Verschönerung des Gottesdienstes verstanden wurde. Um ihr Potenzial jenseits schöner Wohlfühlklänge zu entfalten, bedarf es im liturgischen Raum jedoch eines sorgfältigen und reflektierten Umgangs mit Musik. Beteiligte müssen sich dem Gesamtereignis Gottesdienst unterordnen. Kirchenmusik (und
Gottesdienst) gelingt nur, wenn die verschiedenen Akteur:innen ihren Platz im Zusammenwirken aller pastoralen Berufe finden und den Gottesdienst interdisziplinär verantworten.
Gerade die Liedauswahl bietet jedoch Konfliktpotenzial. Pfarrpersonen stören sich gerne an alten Melodien, die nicht «grooven» (wirklich nicht?), Musiker:innen eher an neueren Texten, die oft eine konservativ-evangelikale Theologie vermitteln.
Und die Gemeinde?
Jahrein, jahraus werden an Kirchgemeindeversammlungen Beschlüsse über Finanzen und Strukturen gefasst sowie Ratsmitglieder (und mancherorts Pfarrpersonen) gewählt. Dies alles hat seine Berechtigung. Aber hat jemand von Ihnen an einer solchen Versammlung je über Form und Gestaltung des Gottesdienstes diskutiert? Ich jedenfalls nicht. Dabei sind insbesondere die Lieder die liturgischen Bausteine, welche die Gemeinde am regelmässigsten und direktesten betreffen. Dies ist kein Plädoyer dafür, der Gemeinde einfach die Gottesdienstgestaltung zu überlassen. Aber bevor man alles auf den Kopf stellt, um «jüngere Menschen in den Gottesdienst zu bringen» – die vielleicht ganz grundsätzlich andere Erwartungen an den Gottesdienst haben –, und dabei einen Teil der Kerngemeinde vergrault, könnte man diese zu Wort kommen lassen.
Wie weiter?
Für zukünftige Diskussionen um gottesdienstliche Musik wünsche ich mir unter anderem:
- Kommunikation und Augenhöhe: Oft können unterschiedliche Anliegen und Motivationen im Gespräch diskutiert und Kompromisse gefunden werden.
- Verantwortungsvolles Handeln: Dies heisst für mich Sorgfalt, Haltung, Glaubwürdigkeit – gegen innen (im Gottesdienstteam) und aussen (gegenüber der Gemeinde).
- Fundiertes Streiten: Wer über ein Lied schimpfen will, soll dies auf einer sachlichen Ebene tun. Die Qualität von Kirchenliedern lässt sich mit wissenschaftlichen Werkzeugen durchaus objektiv bestimmen – unabhängig von Musikstil und theologischem Inhalt. Manchmal ist man überrascht, wie gut ein Lied ist, das man doch gar nicht mag!